Familiennachzug und die Corona-Pandemie

Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag zur Online-Demonstration der Seebrücke am 29.03.2020.

 

Familien haben einen Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. So steht es im Grundgesetz, so müsste es sein. Aber die Realität sieht für viele Familien anders aus:

Familien von Flüchtlingen und Migrant*innen und binationale Paare müssen für ihr Zusammenleben gegen unmenschliche Gesetze und Behördenwillkür kämpfen. Es entscheiden Behörden, Bootschaften,Visa, Dokumente, Stempel, Paragrafen und Beamte, ob Menschen zusammen leben dürfen oder nicht.

Ein autoritäres System gilt mehr als die Entscheidung von Menschen für ein Zusammenleben. Das ist nichts Neues, aber durch die Corona-Pandemie wird der Kampf gegen Behördenwillkür fast aussichtslos.

Ein paar Beispiele:

Alle Visastellen der deutschen Botschaften sind bis auf weiteres geschlossen. Man kann keine Visa beantragen und auch keine Visa abholen.

Für die Familienangehörigen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kann das bedeuten, dass sie ihr Recht auf Familienzusammenführung für immer verlieren. Denn das Recht auf Familienzusammenführung für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling gilt nur bis zu seinem 18. Geburtstag. Bis zum 18. Geburtstag müssen die Eltern eingereist sein und zwar egal wann die Minderjährigen nach Deutschland gekommen sind, Asyl beantragt haben oder die Eltern einen Visumsantrag gestellt haben. Ein grausames Gesetz. Auch wenn sich seit langem Gerichte mit der Frage befassen, ob das europarechtskonform ist – noch gilt das ohne Ausnahme.
Was sollen also Eltern tun, deren Kinder in Deutschland bald volljährig werden?
Die Botschaft Beirut informiert auf ihrer Homepage: “Wir informieren Sie an dieser Stelle, wann und wie mit bereits gestellten Anträgen und mit bereits gebuchten Terminen weiter verfahren wird. Bitte sehen Sie von E-Mail- oder Telefonanfragen zu diesen Themen ab, prüfen Sie regelmäßig die Informationen auf der Internetseite. Vielen Dank für Ihr Verständnis!

Nein, wir haben kein Verständnis dafür, dass ein Grundrecht einfach mal so eben ausgesetzt wird – Findet gefälligst Wege, wie weiterhin Anträge gestellt und bearbeitet werden können, das schaffen Behörden innerhalb des Landes schließlich auch.

Ebenso ungeklärt ist, was mit Visa passiert, die nicht genutzt werden können, weil es keine Möglichkeit gibt einzureisen. Werden getrennte Familien mit den dramatischen Folgen, die das haben kann, alleine gelassen? Oder wird das Auswärtige Amt eine großzügige Ausnahmeregelung für diese Fälle schaffen?
Bisher scheint das Auswärtige Amt zu beschäftigt damit, die Heimreise für Urlauber*innen zu organisieren, um sich mit dieser Frage zu befassen.

Auch dafür haben wir kein Verständnis, denn das Grundgesetz verpflichtet deutsche Behörden für den Schutz der Grundrechte aller! Menschen zu sorgen, die in Deutschland leben.

Ein anderes Beispiel:
Standesämter haben geschlossen und sind oft auch per Telefon oder E-Mail nicht zu erreichen. Eheschließungen und Vaterschaftsanerkennungen werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist kein Luxusproblem, denn für viele binationale Paare kann das aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben.
Außerdem haben viele Paare große Schwierigkeiten, wichtige Dokumente aus dem Ausland zu besorgen, da auch dort die staatlichen Verwaltungen heruntergefahren sind.

Auch hier gilt: großzügige unbürokratische Ausnahmeregelungen wären möglich, wenn der politische Wille dafür da wäre. Diese politischen Entscheidungen müssen wir gemeinsam einfordern.

Viele Menschen, deren Familienzusammenführung von Behörden verhindert werden, leben auch in Moria oder in anderen griechischen Flüchtlings-Lagern unter unmenschlichen Lebensbedingungen.
Seit dem 13.03.2020 hat das Griechische Ministerium für Migration und Asyl offiziell alle Aktivitäten, die den Kontakt mit Antragsteller*innen erfordern, eingestellt. Das betrifft nicht nur Aslyanträge sondern unter anderem auch die Familienzusammenführung im Rahmen der Dublin-III-Verordnung zu Angehörigen in Deutschland.
Aber war nicht das Asylrecht in Griechenland schon vorher ausgesetzt? Ja, so ist es: Schon am 1. März hat der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis einen Beschluss des nationaler Sicherheitsrat verkündet, dass Griechenland einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr annehmen will, um die Abschreckung an den Grenzen „maximal zu erhöhen“ Alle Rechtsexpert*innen sind sich einig: das ist gegen EU-Recht und Völkerrecht. Aber die EU hat das hingenommen, weil ihr Menschenrechte schlicht egal sind. Nachdem der griechische Flüchtlingsrat Klagen dagegen angekündigt hat, wurde dasselbe einfach zwei Wochen später als Maßnahme gegen die Corona-Epidemie verkündet.

Und genau so funktioniert Behördenwillkür in Griechenland ebenso wie im deutschen Innen- und Außenministerium: Grausame und menschenrechtswidrige Abschottungsmaßnahmen werden als Notstandsmaßnahmen gegen die Corona-Epidemie verkauft, obwohl sie nur eine Fortsetzung der alten rassistischen Politik mit noch brutaleren Mitteln sind.

Dagegen müssen wir kämpfen!
Gegen ein inhumanes und menschenrechtswidriges Aufenthaltsrecht!
Gegen ein ausgrenzendes und bürokratisches Visaregime!
Gegen menschenverachtende Abschiebungen!
Für sichere Fluchtwege! Für Bleiberecht und Familiennachzug für Alle!

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