Wir dokumentieren hier den offenen Brief, den die ‚Initiative Familiennachzug Eritrea‘ heute im Bundeskanzleramt übergeben hat. Die Aktivist*innen und ihre Unterstützer*innen fordern die Bundeskanzlerin und andere Entscheidungsträger*innen auf endlich schnelle und unbürokratische Familienzusammenführungen zu ermöglichen.
An
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Bundesminister des Auswärtigen Heiko Maas
Bundesminister des Innern Horst Seehofer
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration Annette Wiedmann-Mauz
Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik
und Humanitäre Hilfe Dr. Bärbel Kofler
Berlin, 01. Dezember 2020
Der Bürgerkrieg in Äthiopien gefährdet Menschenleben – Schnelle und unbürokratische Familienzusammenführungen ermöglichen!
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Bundesminister des Auswärtigen,
sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern,
sehr geehrter Frau Staatsministerin,
sehr geehrte Frau Dr. Kofler,
seit einigen Wochen herrscht wieder Krieg in Äthiopien. Die Gefechte zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray haben bereits jetzt hunderte Menschenleben und Verletzte gefordert. Ein sechsmonatiger Ausnahmezustand wurde ausgerufen. Telekommunikationskanäle sind unterbrochen. Viele Menschen fliehen innerhalb des Landes und leben in Angst.
Der ausgebrochene Bürgerkrieg verschärft die ohnehin schwierige Situation für die Zivilbevölkerung in Äthiopien weiter. Darunter befinden sich auch viele Eritreer:innen, die u. a. in UNHCR-Lagern teils jahrelang darauf warten, Visa zur Familienzusammenführung mit ihren in Deutschland lebenden Ehepartner:innen, Eltern oder Kindern zu bekommen. Die Familienzusammenführungen scheitern oder verzögern sich, weil das Auswärtige Amt (AA) bzw. die deutschen Botschaften bei der Vergabepraxis für Visa an der Vorlage bestimmter Dokumente festhalten, die die Antragstellenden oftmals nur schwer oder gar nicht besorgen können.
Zu den Hürden für die Erlangung von Visa gehören:
Für die Beschaffung von Dokumenten und die Vergabe von Vollmachten für den Familiennachzug verlangt das AA, dass in Deutschland befindende Personen mit Flüchtlingsschutz oder Asylberechtigung bei der eritreischen Botschaft vorsprechen. Das ist für viele ein undenkbarer Schritt und für diejenigen, die sich dazu durchringen, mit der Zahlung einer „Aufbausteuer“ und der Unterzeichnung eines „Schuldeingeständnisses“ verbunden. Teil dieses Eingeständnisses ist, dass man bereit sei, eine „angemessene Bestrafung“ zu akzeptieren, weil man das Land verraten hat. Mit der Unterzeichnung würden Flüchtlinge demnach die vom BAMF als unmenschlich qualifizierte Bestrafung und Verfolgung akzeptieren.
Die „Aufbausteuer“ wird von der UN kritisiert. In der UN-Security Council Resolution 2023 aus dem Jahr 2011 heißt es, dass die Steuer wahrscheinlich zur Finanzierung der Al-Shabaab-Miliz in Somalia und somit zur Destabilisierung der Region genutzt würde. Dies legt auch der Bericht der UN-Beobachtergruppe für Somalia und Eritrea von 2014 nahe. Die Steuer wird laut Resolution mittels Erpressung (keine Zahlung = keine Leistung), und anderer unerlaubter Mittel eingetrieben. Da die Zahlung in Deutschland nicht erlaubt ist, sind die Betroffenen gezwungen, diese in Eritrea zu leisten. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Steuer ist dem AA bekannt. Die Kooperation und Bereitstellung von Unterlagen durch eritreische Behörden ist an die Zahlung dieser Steuer gebunden. Einige Dokumente, z. B. die ID-Card, werden seit mehreren Jahren nicht ausgestellt.
Der Kontakt von eritreischen Staatsbüger:innen mit den staatlichen eritreischen Behörden wird vom AA grundsätzlich als zumutbar eingestuft. Die Unzumutbarkeit kann in Einzelfällen/Ausnahmen begründet werden. Allerdings bleibt es für die Geflüchteten, Helfer:innenkreisen und Beratungsstellen völlig unklar, wann die Grenze Zumutbarkeit/Unzumutbarkeit überschritten ist.
Das AA besteht für den Ehegattennachzug auf eine staatliche Registrierung der Ehen und die zusätzliche Überbeglaubigung durch das eritreische Außenministerium. Die staatliche Registrierung ist unüblich in Eritrea. Eine Ehe gilt dort als rechtskräftig, wenn eine kirchliche Urkunde vorliegt. Für eine nachträgliche staatliche Registrierung ist der Kontakt mit eritreischen Behörden unerlässlich. Damit ergeben sich die bereits aufgeführten Probleme.
Im Merkblatt der deutschen Botschaft in Addis Abeba werden zahlreiche „ergänzende, aber nicht ersetzende Belege“ für eine familiäre Bindung und die Ehe aufgeführt (kirchliche Urkunde; DNA-Nachweise zum Familienverhältnis; Bilder und Videos der Eheschließung; Kontaktnachweise der Familie wie Mails, Chatverläufe, Telefonprotokolle mit Erkundigungen zum Wohl der Familienmitglieder, Liebesbekundungen etc.; Nachweise von Geldzahlungen an die Familie; Nachweise von Besuchen; Nachweise der eigenen Bemühungen zur Beibringung von Dokumenten, aber auch von Helfer:innen). Doch selbst wenn alle ergänzenden Belege vorliegen, nutzen die deutschen Auslandsvertretungen ihren Ermessensspielraum zugunsten der Familien nicht. Selbiges gilt auch für die Vorlage anderer Dokumente, die nicht die Eheschließung betreffen.
In Art. 11 Abs. 2 der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie ist bestimmt:
„Kann ein Flüchtling seine familiären Bindungen nicht mit amtlichen Unterlagen belegen, so prüft der Mitgliedstaat andere Nachweise für das Bestehen dieser Bindungen; diese Nachweise werden nach dem nationalen Recht bewertet. Die Ablehnung eines Antrages darf nicht ausschließlich mit dem Fehlen von Belegen begründet werden.“
Dennoch legt das AA deutsche und damit unerfüllbare Maßstäbe an das eritreische Urkundenwesen an, was in der Praxis zu einer Verhinderung des Familiennachzugs und einer jahrelangen Trennung von Familien führt.
Wir wollen es bei diesen nicht abschließenden Ausführungen belassen. Dem Auswärtigen Amt sind die angesprochenen Probleme seit langem bekannt.
Wir wenden uns an Sie, weil diese bereits seit Jahren inhumane und vor allem Eritreer:innen diskriminierende bürokratische Praxis angesichts des Krieges in Äthiopien ganz akut und konkret Menschenleben gefährdet. Um weitere unnötige Härten für Familien zu vermeiden, fordern wir Sie auf, die Visaverfahren zugunsten der betroffenen Menschen schnell, flexibel und unbürokratisch zu gestalten.
So könnte beispielsweise in allen laufenden Verfahren, bei denen nur die Überbeglaubigung einer Eheurkunde fehlt, auf diese verzichtet werden. Das Vorlegen einer kirchlichen Urkunde und ergänzender Belege sollte als ausreichend anerkannt werden – so wie es in vielen anderen europäischen Ländern längst Praxis ist (so z. B. in den Niederlanden). Insbesondere im Fall unbegleiteter Minderjähriger, sind schnelle und unbürokratische Visaverfahren ein dringendes rechtliches und humanitäres Gebot.
Bitte stellen Sie sicher, dass Menschen wegen der langsam mahlenden Mühlen deutscher Bürokratie nicht noch länger inmitten eines Bürgerkriegs ausharren müssen. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, die bisherige Praxis in den deutschen Auslandsvertretungen zu beenden und humanitär zu handeln.
Sehr gerne erläutern wir Ihnen die Probleme beim Familiennachzug zu Geflüchteten aus Eritrea auch bei einem persönlichen Gespräch. Für Ihre Antwort bedanken wir uns im Voraus.
Initiative Familiennachzug Eritrea
c/o Flüchtlingsrat Berlin, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Mitzeichnende:
AWO Berlin-Mitte e.V.
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Cabana Migrationsberatungsstelle für Erwachsene im Ökumenischen Informationszentrum Dresden e.V.
Willkommen im Westend, Berlin
We’ll Come United Berlin/Brandenburg
Gemeinschaft mit Flüchtlingen GmF in der Pfarrei Franz von Assisi, Kiel
Sprungbrett Zukunft Berlin e.V.
Die Urbane. Eine HipHop Partei
Flüchtlingsrat Bremen
Hessischer Flüchtlingsrat
Kurdistan Kultur- und Hilfsverein e.V.
Flüchtlingsrat Brandenburg
Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. (KuB)
AK Asyl – Flüchtlingsrat RLP e.V.
Aktiv für Flüchtlinge RLP
Each One Teach One (EOTO) e.V., Berlin
Fremde brauchen Freunde e.V., Nordfriesland
Black Lives Matter Berlin
Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrant*innen (ZBBS) e.V.
Diakonisches Werk Husum, Bereich Migration
Helferkreis Pittenhart
RomaniPhen e.V.
Diakonisches Werk Berlin Stadtmitte e.V.
Migrantifa Berlin
Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V.
Weltweit Berlin
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – ISD Bund e.V.
lifeline Vormundschaftsverein im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Center for Intersectional Justice (CIJ)
Emilia Roig (Aktivistin und Politikwissenschafterin)
Dr. Sabine Speiser (Sprungbrett Zukunft Berlin e.V.)
Dr. Ingrid Andresen-Dannhauer (BHFI Hamburg)
Felizitas Kühnel-Falkner (AWO-Migrationsberatung LK Miesbach)
Friedel Buergel-Goodwin (Flüchtlings- und Integrationsberatung Diakonie Traunstein)
Ulrike Weber (Migrationsberatung des BRK KV Weiden-Neustadt)
Gaby Arthur (Integration für Familien, Kinder und Jugendliche, Begegnungszentrum ALTE SCHULE Hamburg – Niendorf)
Günter Reindl, Ines Boeck, Evi Harrecker, Irmgard Bohmann, Marlene Meister (Helferkreis Asyl, Trostberg)
Katja Kuhlmann (Christlicher Verein e.V.)
Petra Burkhardt (Soz.Päd. IVK Klassen Emil Krause Schule Hamburg)
Tahir Della (Decolonize Berlin e.V., glokal e.V.)
Bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte 😭 ich will doch nur mein Mutter 😭😭
6 Jahre habe ich gekämpft ohne Erfolg, bis jetzt habe ich kein Antwort 😭😭😭bekommen 😭😭